Zeichen setzen. Mit Spaziergängen oder doch lieber anders? Predigt vom 16. Januar 2022
- Wie sind sie ins neue Jahr gekommen? Steht bei ihnen zuhause der Weihnachtsbaum noch? Oder haben sie ihn schon wieder abgeschmückt und entsorgt und sind aus der Festzeit wieder im Alltag angekommen? Vor und in der Christuskirche stehen die Weihnachtsbäume noch. Denn: Im Kirchenjahr ist die weihnachtliche Festzeit noch nicht vorüber. Aber auch im Kirchenjahr bleibt die Zeit nicht stehen.
Wie geht es weiter mit dem Kind, dessen Geburt Weihnachten alle Jahre wieder gefeiert wird? Was wird aus dem Wort, das Mensch wurde und das Licht und Leben ist, wie Johannes Weihnachten beschreibt? Johannes hält sich in seinem Evangelium nicht lange mit dem Heranwachsen des Kindes auf. Er schildert unmittelbar nach dem berühmten Vorwort seines Evangeliums über das Mensch gewordene Wort, wie der erwachsene Jesus die ersten Anhänger oder neu hochdeutsch Follower gewinnt. Und dann, also noch ganz am Anfang seines Evangeliums, lässt Johannes die Leser am ersten öffentlichen Auftritt von Jesus -dem Mensch gewordenen Wort Gottes- teilhaben. Das ist die Szene von der Hochzeit in Kana, sie war die Lesung am heutigen 2. Sonntag nach Epiphanias.
Das allererste, was Jesus im Johannesevangelium öffentlich tut, ist - Feiern. Er und seine ersten Follower lassen sich auf eine Hochzeit einladen. Das ist beim Evangelisten Johannes kein Zufall, sondern bewusst so komponiert. Wer das in Jesus Mensch gewordene Wort Gottes, das das Leben ist, verstehen will, muss verstehen: Das Leben, unser Leben ist zuallererst ein Fest! Kein Fest wie die unbekümmert ausgelassenen Partys am Dienstsitz des britischen Premiers in Downing Street Nr. 10. Aber ein Fest!
Feste zu feiern, ist gar nicht so leicht. Es ist eine Kunst. Bei der Hochzeit in Kana hatten sie das Festgetränk Wein zu knapp kalkuliert. Der besondere Gast Jesus behebt den Mangel, verhindert die Blamage des Gastgebers und gewährleistet, dass das Fest gelingt. Im übertragenen Sinn ist die Botschaft von Johannes: Das in Jesus Mensch gewordene Wort Gottes lässt unser Leben gelingen und zu dem werden, was es eigentlich ist: Ein Fest.
Das funktioniert aber nur dadurch, dass Jesus nicht bloß auf seine eigenen Bedürfnisse als geladener Gast achtet, sondern auch und vor allem auf die Bedürfnisse der anderen Gäste und des Gastgebers. Und sich fragt: Was kann ich dazu beitragen, dass das Fest gelingt? Johannes will zeigen: Auf die Perspektive kommt es an. Es reicht nicht, andere nur für die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse sorgen zu lassen, das natürlich auch, der Gast ist König. Aber wenn das Ganze gelingen soll, ist auch in den Blick zu nehmen, was man selbst für die anderen und ihr Wohl tun kann.
Am Anfang des öffentlichen Auftretens von Jesus, dem Mensch gewordenen Wort Gottes, steht also ein Fest, das zu misslingen drohte, aber durch die gezielte Intervention von Jesus gut wurde. Und am Ende dieses Grund legenden Auftaktes zur Wirkungsgeschichte des Mensch gewordenen Wortes Gottes hält Johannes bedeutungsvoll fest: „Das war das erste Zeichen. … Jesus machte damit seine Herrlichkeit sichtbar und seine Jünger glaubten an ihn.“ So setzt Gott Zeichen und gewinnt Anhänger, Follower. Und diese sollten sich daran orientieren, wenn sie eigene Zeichen setzen (wollen).
- Diese Grundlage hilft, sich in dem gegenwärtigen Wirrwarr der Positionierungen und Haltungen zum Umgang mit der Corona-Krise zu orientieren.
Stark in den Vordergrund geschoben und die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben sich die Montagsspaziergänge. Sie finden mittlerweile nicht nur in Großstädten, sondern in vielen kleineren und mittelgroßen Städten regelmäßig statt, auch in unserem Landkreis. Sie sind in der Fläche angekommen und laufen dezentral. Dadurch entfalten sie Wirkung und versuchen, Follower zu gewinnen, auch wenn die Teilnehmerzahlen insgesamt überschaubar sind. Diese Spaziergänge sind zum Sammelbecken vieler geworden, die mit den beschlossenen Corona Maßnahmen von Bund, Ländern, Landkreisen und Gemeinden nicht einverstanden und unzufrieden sind.
Wie sind diese Spaziergänge und ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer einzuschätzen, wenn man sich selbst als Anhänger/Follower des Mensch gewordenen Wortes Gottes versteht? Die erste Übung wäre dann, dass man versucht, sich auch in ihre Lage hineinzuversetzen. Auch die Spaziergänger sind andere. Als Anhänger/Follower des Mensch gewordenen Wortes Gottes kommt es darauf an, sich wenigstens zu bemühen, auch mit ihnen unbedingt im Gespräch zu bleiben. Und dann wird man einräumen: Ja, die ganzen Einschränkungen von von unserer demokratischen Verfassung geschützten Grundrechten sind nicht schön. Sie belasten enorm und sie beeinträchtigen das Fest, das unser Leben doch ist und sein soll, wenn es nach Gott geht. Und ja: Ich kann nachempfinden, dass der Druck unschön ist, den die verspüren, die sich dagegen entscheiden, sich selbst und ihre Kinder impfen zu lassen. Ich kann nachempfinden, dass sie sich in die Enge getrieben und ausgegrenzt fühlen.
Das an dem Mensch gewordenen Wort Gottes ausgerichtete Grundprinzip, nach dem jeweils anderen zu sehen und sich in seine Lage hineinzuversetzen, ist allerdings auch den Montagsspaziergängern zu sagen. Jede Entscheidung, die wir treffen, wirkt sich auf andere aus und oft nicht zum Guten. Haben die Montagsspaziergänger hinreichend im Blick, wie sich ihre Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen und an den Spaziergängen teilzunehmen, auf das Ganze der Gesellschaft auswirkt? Kann es gut sein, auf diesen Spaziergängen die behördlichen Auflagen gezielt zu mißachten? Kann es gut sein, dadurch die zu diffamieren, die mit den beschlossenen Maßnahmen erreichen wollen, die für viele ganz schlimmen Folgen der Ansteckung zu verringern? Ich habe den Eindruck: Niemand macht es sich leicht, so belastende Entscheidungen zu treffen. Keiner trifft sie gerne. Und natürlich muss man sich darüber öffentlich auseinandersetzen und miteinander um den bestmöglichen Weg ringen. Im Nachhinein mag sich die eine oder andere Entscheidung auch als nicht so optimal oder sogar falsch erweisen. Trotzdem gebührt den Entscheidern, auch wenn man selbst ganz anderer Meinung ist, höchster Respekt. Ich möchte nicht in der Haut der Verantwortlichen stecken und bin froh, dass ich diese Entscheidungen nicht treffen muss. Mir machen die in meinem Verantwortungsbereich zu treffenden Entscheidungen schon genug zu schaffen. Und schließlich: Kann es gemessen am Maßstab des Mensch gewordenen Wortes Gottes gut sein, in erster Linie für das eigene Recht auf Freiheit öffentlich einzutreten und so vehement auf sich aufmerksam zu machen? Gestern veröffentlichte der Humanmediziner Prof. Kern vom Klinikum Fulda einen eindrucksvollen Beitrag zur Situation, er gehört zum Besten, was dazu in jüngster Zeit geschrieben wurde. Der Arzt erinnert an den Philosophen Immanuel Kant und das für unseren abendländischen Kulturraum vielleicht wichtigste Vermächtnis der Aufklärung. Ich würde die Spaziergänger im Sinn von Kants kategorischen Imperativ gerne fragen: Kann ihre Haltung, also die Maxime ihres Willens, jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten? Einfacher ausgedrückt: Ist ihre Haltung verallgemeinerungsfähig? Die Frage muss auch beantworten können, wer mit dem Mensch gewordenen Wort Gottes nichts anzufangen weiß.
- Zeichen setzen. Mit Spaziergängen oder doch lieber anders? Was können die Anhänger des Mensch gewordenen Wortes Gottes tun, damit das Fest des Lebens in dieser schwierigen Situation einigermaßen gelingt? Welches Zeichen können sie setzen? Eine Antwort scheint mir klar zu sein: Mit den Spaziergängern das Gespräch suchen und im Gespräch bleiben. Sich auch in ihre Lage versuchen hineinzuversetzen. Denn wie es Rosa Luxemburg unübertroffen prägnant formulierte: Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden. Nicht, um sich ihre Haltung und Positionierung zu eigen zu machen. Sondern um ihnen eine Brücke zu bauen, ohne Gesichtsverlust zum Überdenken und vielleicht zum Ändern ihrer Haltung zu finden. Und dabei könnte das auf den ersten Blick völlig unscheinbare Zeichen helfen, das sie in der Stadtpfarrkirche dieser Tage setzen: Dort steht der Begriff 2G montags von nun an für das „gemeinsame Gebet“, wie die Sprecherin der Stadtpfarrkirche mitteilte. Denn ‚das gemeinsame Gebet beendet Konflikte, führt Menschen zusammen und versöhnt‘. Dem weiß ich nichts hinzuzufügen. Amen.
Bengt Seeberg